10 Jahre 101
Seit 19. Februar 1997 sind Loks der Baureihe 101 planmäßig im Einsatz: Von Padborg an der dänischen Grenze bis Wien in Österreich, von Frankfurt an der Oder im Osten bis Aachen im Westen reicht das Einsatzgebiet der 145 Lokomotiven. Neben dem ICE ist die 101 dabei der Kilometerfresser der DB schlechthin, teilweise werden Umläufe mit über 2.000 Kilometern pro Tag gefahren. Durchschnittlich kommt jede 101 auf 380.000 Kilometer im Jahr - sie fährt somit umgerechnet ca. 9x um die Erde. Alle Loks zusammen bringen es auf rund 55 Millionen Kilometer pro Jahr. Zugunglücke mit der Baureihe 101
Das bislang schwerste Zugunglück mit der Baureihe 101 ereignete sich am 6. Februar 2000 in Brühl bei Köln. Der D203 von Amsterdam nach Basel durchfuhr dabei mit zu hoher Geschwindigkeit den Bahnhof und sprang in einer auf Abzweig gestellten Weiche von den Schienen, die Lok steuerte daraufhin geradewegs auf Wohnhäuser zu und raste in eines hinein, mehrere Wagen kippten um und verkeilten sich teilweise mit dem Bahnsteigdach. Insgesamt kamen bei dem Unglück 9 Personen ums Leben, 149 wurden teils schwer verletzt.
Wie so oft bei derartigen Unglücken gab es nicht eine Ursache, sondern viele kleine Vorkommnisse verketteten sich zum Unglück. Der Lokführer übernahm in Emmerich den gut besetzten "Schweiz Express" mit vielen Skiurlaubern. Kurz nach Köln, in Hürth-Kalscheuren, bremste er den Zug aufgrund eines wegen einer Baustelle eingerichteten Gleiswechselbetriebes nach Signalvorgabe auf 60 Stundenkilometer ab, der Zug überfährt einige Weichen und wird nun linksgleisig weitergeführt. Nach passieren dieses Weichenpaares beschleunigt der Lokführer ordnungsgemäß seinen Zug, die Strecke ist für 130 km/h zugelassen. Mit rund 100 km/h wird das Einfahrsignal des Bahnhofs Brühl angesteuert. Das Vorsignal signalisiert dem Lokführer ein "Halt erwarten" welches er korrekt bestätigt und seinen Zug abbremst. Das eigentliche Einfahrsignal, welches auf Halt steht, wird durch ein Zs-1 Ersatzsignal aufgehoben und erlaubt eine Vorbeifahrt mit 40 km/h. Dieses Ersatzsignal gilt jedoch, da es in Verbindung mit einem Einfahrsignal steht, nicht nur für den nachfolgenden Weichenbereich sondern bis zum nächsten Hauptsignal (idR dem Ausfahrsignal). Der Zug hätte also mit max. 40 km/h durch den Bahnhof Brühl fahren müssen. Der Unglückszug beschleunigt allerdings bereits kurz nach Vorbeifahrt am Ersatzsignal und überfahrt einiger Weichen auf 120 km/h - ganz wie es in der Langsamfahranweisung des Lokführers steht, ganz wie es offensichtlich Langsamfahrscheiben ("Baustellenschilder") am Rande der Strecke anzeigen. Eine Überprüfung der Geschwindigkeit durch technische Einrichtungen findet nicht statt. Die kurze Baustelle wird passiert, an welcher Schilder das Ende des Langsamfahrabschnittes anzeigen. Der Lokführer beschleunigt weiter und entgleist schließlich mit über 120 km/h im Bahnhof Brühl.
Zunächst waren sich fast alle einig: Der unerfahrene Lokführer hat versagt. Der 28jährige fiel bei der Deutschen Bahn bereits 2x durch die Lokführerprüfung als er sich bei einem privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen bewirbt. Hier schafft er die Prüfung, fährt hauptsächlich Rangierzüge. Später wechselt er wieder zur DB, durchläuft eine kurze Weiterbildung und darf nun auch schnelle Personenzüge fahren.
Mit der Zeit wachsen jedoch Zweifel an der kompletten Schuld des Lokführers. Mehrere Kollegen beschwerten sich über die Zustände im Bahnhof Brühl, über die nicht ausreichende und verwirrende Anordnung der Signale in Verbindung mit der Baustelle. So war in der Langsamfahranweisung (LA), einem Heft das jedem Lokführer ausgehändigt wird und alle Baustellen und Langsamfahrstellen ausweist, tatsächlich eine Geschwindigkeit von 120 km/h abgedruckt welche sich jedoch für die Gegenrichtung bezog. Ebenfalls waren neben der Strecke Tafeln aufgestellt die 120 km/h zuliesen.
Der Lokführer von D203 hat, im Gegensatz zu seinen ebenfalls teilweise unsicheren Kollegen, aber einen entscheidenden Fehler begangen: Am Einfahrsignal des Bahnhofs Brühl erhielt er ein Zs-1 Ersatzsignal welches max. 40 km/h zulässt - egal was sonstige Hinweise in LA oder Beschilderung aussagen. Hätte sich der D203 an dieses Signal gehalten wäre nichts passiert.
Die Irreführende Anweisung waren allerdings der Bahn schon vor dem Unglück bekannt. Bereits eine Woche vor dem Beginn der Bauarbeiten diskutierten 3 Bahnmitarbeiter die für die Betriebsführung, die Ausstellung der LA und die Baustelle verantwortlich waren über eine mögliche Fehlinterpretation der Anweisungen. Tatsächlich galt die La 120 km/h nur für das normale, in Fahrtrichtung rechte Gleis von Koblenz nach Köln. Da auf der Fahrt von Köln nach Koblenz wegen der Baustelle in Hürth-Kalscheuren vom normalen, rechten auf das in Fahrtrichtung links Gleis gewechselt werden muß und dieser Gleiswechsel mittels stationären Signalen auf 40 km/h begrenzt werden sollte sah man keine Notwendigkeit für einen entsprechenden Hinweis in der LA bzw. eine Überarbeitung dieser. Insgesamt stellte man fest das die Signallage klar ist, zur Sicherheit solle eben der Fahrdienstleiter jeweils Kontakt mit dem Lokführer aufnehmen und ihn informieren. Tatsächlich erging daher auch ein Befehl mit "Bitte um Information der Lokführer" an den Fahrdienstleiter von Brühl heraus. Dieser Bitte mußte allerdings nicht zwingend nachgekommen werden, zudem war der Zugfunk am Unglückstag in Brühl gestört...
In der Folge wurden der Lokführer sowie eben diese 3 weiteren Bahnmitarbeiter vor dem Landgericht Köln wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Der Lokführer wegen Nichteinhaltung der Signale, die anderen 3 wegen Nichtmontage einer Sicherheitsvorkehrung die zu schnelle Züge stoppt bzw. wegen der irreführenden Anweisungen an der Strecke und in der LA. Das Verfahren wurde schließlich im Oktober 2001 mit der Verhängung von Geldbußen zwischen 7.000 und 20.000 Euro für alle 4 Angeklagten eingestellt. Die Bahn verpflichtete sich zukünftig Baustellen besser abzusichern.
Das Eisenbahnbundesamt kam in einer Untersuchung ebenfalls zum Schluß, dass das Unglück hätte vermieden werden können:
Die Entgleisung des D203 am 06. Februar 2000 wäre vermieden worden, wenn
- innerhalb des Bahnhofs Brühl die zulässige Geschwindigkeit von 40 km/h eingehalten, oder
- im Zusammenhang mit der Baumaßnahme eine technische Störung zur Geschwindigkeitsüberwachung der Züge vorgesehen worden wäre.
Bei dem Unglück kann begünstigend gewirkt haben, dass eine Unterrichtung des Tf über die Betriebsführung im Bf Brühl durch La-Eintrag oder Zugfunk nicht erfolgt ist, zugleich aber die La einen nicht relevanten Eintrag für die Langsamfahrstelle mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h enthalten hat. ... Eine Vielzahl von Flüchtigkeits- und Schreibfehlern in der Betra, eine unzureichende Sicherung der Zugfahrten ohne Hauptsignal, so wie eine offensichtlich unzureichende Überwachung der Betriebsführung vor Ort deuten darauf hin, dass das Personal der DB Netz AG in der unteren und mittleren Führungsebene seinen Aufgaben nicht im erforderlichen Umfang nachgekommen ist. Diese Mängel weisen zwar keinen unmittelbaren Zusammenhang zu dem Unglück auf, begründen gleichwohl aber Zweifel ob die DB Netz AG als Eisenbahninfrastrukturunternehmen ihrer Verantwortung gem § 4 Abs 1 AEG in vollem Umfang nachgekommen ist
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